Gespräche mit Taiwanerinnen und Taiwanern drehen sich zu Beginn fast immer um die Fragen, warum ich in Taiwan bin, wie lange ich bereits hier bin, wie lange ich bleiben werde, wo ich schon gewesen bin, was mir besonders gut gefallen hat, was mir am besten geschmeckt hat und wo ich als nächstes hinreisen will. Viel spannender wird es danach, wenn ich erkläre, dass ich meinen Job in der Bank aufgegeben habe. Da ernte ich zumeist ziemlich erstaunte Gesichter. Und richtig lustig wird es dann, wenn ich etwas von 39-Stundenwoche, maximal 10 Stunden Arbeit pro Tag und arbeiten nur von montags bis freitags fasele. 30 Tage Urlaub ist immer die Krönung und die Gesichter, in die ich schaue, sprechen Bände. Die kucken mich an, als ob ich geistig etwas zurückgeblieben sei. Das verstehen hier wirklich nur die Allerwenigsten. In Taiwan sind 12-Stundentage und oft genug 14 Tage arbeiten am Stück ohne einen einzigen freien Tag dazwischen vollkommen üblich. Ich erwähnte ja schon einmal, dass in Taiwan lediglich 15 Tage Urlaub vorgesehen sind und nach 15 Berufsjahren beim selben Arbeitgeber gibt es jedes Jahr zusätzlich einen Urlaubstag mehr bis zur Maximalzahl von 30 Tagen Urlaub im Jahr.
Paradox an dieser Geschichte ist nun, wie die Menschen damit umgehen. Einige meiner ehemaligen Kolleginnen und Kollegen werden jetzt wenig begeistert sein, wenn ich nun sage, dass diese ihr Lebtag noch nicht gearbeitet haben und schon beim kleinsten Anfall von Arbeit in Panik und Stress verfallen. Ich würde zu gerne erleben, was die machen, wenn die in Taiwan arbeiten müssten. In Deutschland ist die Überforderung schnell sehr groß, während die Taiwanerinnen und Taiwaner komplett relaxt und gechillt sind. Ich habe tatsächlich keine Antwort darauf, warum wir Deutschen also nicht mindestens genauso entspannt sind. Wenn irgendjemand es auch nur wagt, unseren Arbeitsmarkt flexibilisieren zu wollen, ist das Geschrei riesig. Wenn wir in den kommenden Jahren international mithalten wollen, sollten wir dringend damit anfangen unsere gewohnten Überzeugungen zu überdenken. Mit der großen Arbeitnehmerlobby wird das allerdings nicht möglich sein. Die Konsequenzen werden aber eben genau die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer zu tragen haben. Wenn Du anderer Meinung bist, dann schreibe mir bitte an oliver.hesel@googlemail.com